„Kammerjäger“
Der Kammerjäger, der gemeint ist, ist nicht der Berufsgruppe der Vertilger von unliebsamem Kleingetier zugehörig, den man über die Telefonnummer 030/6634065 erreichen kann,
sondern er ist eine Metapher. Er befindet sich auf einer Jagd im Raum und ist interessiert an den verschiedenen Erscheinungen der Dinge, denen er auflauert.Er vertilgt nicht, sondern er baut sich ein Bild von der Faszination eines Insektenflügels oder eines chitin-bedeckten Käferpanzers. Er ist gleichsam Sammler, der die subtilen Geheimnisse unter den Steinen sucht und diese wie Trophäen behandelt.

Michael Schulze  1985/86

 

„Kammerjäger“Niemals werden wir sie zu sehen bekommen: Diese undeutlichen Figuren und Gestalten, welche Michael Schulze in den unbemerkten Lücken zwischen dem Gefälligen und Abfälligem wittert und aufspürt, – wenn wir bei „Jagd“ nur an das
Hetzen und Treiben, an das rasende Flehen und Töten denken, gar an das Ausrotten von Ungeziefer. Dieser nackten und blutigen Trennung und Zuordnung von Jäger und Opfer geht vielmehr ein Raum der Unentschiedenheit voraus, ein Raum des Lauern, Witterns, Horchens, der unendlich fein verzweigten Wachsamkeiten; und in diesen Wachheiten
ist das Wesen des Tieres zu sehen, nicht in seinen „Stoffwechseln“ und „Fortpflanzungen“;  in ihnen vermengen sich die
Zeichen von Leben und Töten, ein rasches Schwirren, ein plötzlich innehaltendes Geknister, ein unendlich langsames
Auftreten; hier zieht sich ein Fühler zurück, dort enttarnt sich ein Auge, ein Plätschern verstummt, ein kurzes Gezirpe wagt
sich vor oder der Hauch eines Flügelschlags. Keinen Augenblick vergessen diese Zeichen ihre tödliche Verletzbarkeit.
Und der „Jäger“ ist zunächst die scharf anfragende Aufmerksamkeit, die nicht minder ihre Spuren zurückzuhalten sucht. Der „Kammerjäger“, – nicht anders als der Kammerdiener, – war zunächst die Person, die den Leib des Fürsten selbst leiblich umgab, dessen Körper, also den engeren, näheren Raum des Herren abschirmend konstituierte; nicht fundierte Wende, sondern die begleitenden Kleider der anderen bildeten die Cammera des Herrschers…Wir werden immer wieder bemerken können, wie Michael Schulze sich mit genauen Anspielungen ins Zentrum herrschender Codes wagt und nun gleichsam umgekehrt dort auf die Verwundbarkeit der Jäger stößt,- etwa auf uns selbst, die wir im Insekt nur jene unwürdige Unzahl sehen, die keine Achtung und Ökonomie kenne und verheerend ihre eigene
Subsistenz-Bedingungen verzehre, oder auf uns, die wir den Käfer auf seine „unschuldige Genügsamkeit“ hin verniedlichen oder auf uns, die wir von mächtigen Adlerschwingen mehr träumen als von gehauchten und gefährdeten Flügeln einer Florfliege, die an nächtlichen Lichtern verbrennt.
Aber Michael Schulze geht einen rätselhaften, viele wichtigeren Schritt weiter, einen Sprung, von dem aus ein Moment der Gnadenlosigkeit selbst der sammelnden „Tierliebhaber“, deutlich wird: Es geht nicht darum, dass Kleine und Übersehene und Zertretende nur zu vergrößern und vertraut zu machen, sondern es geht um Übersetzungen, die uns zeigen werden, dass wir Menschen uns selbst jene skurrile Position zugewiesen haben: Am höchst entwickelten Ende tierischer Geschichte zu stehen, von dem aus nun und in Zukunft alles Technik und Maschine sein wird. Könnte es nicht eine Instanz geben, die schon jetzt über diese Dompteurposition lächelt? Erzählen nicht das „elektrische Insekt“, das „Flügelradtier“ oder „der Schmetterling“
die“elektrische Wespe“ eine ganz andere Geschichte…?…Aber nicht nur dieses sperrig, krabbelnd, surrend, stechend insektenhafte vieler Maschinen oder umgekehrt das Verkrabbelte, Siebhafte, die Gelenke und Treibriemen tierischer Körper. Es gibt da Zeichen, die Michael Schulze an – und ausspielt, welche noch unterhalb der Passagen von Animalität und Maschinität verlaufen, Trans- Missionen.
Meta-Botschaften von Bewegungscharakteren, in denen bedächtige und hektische, stupide und ängstlich – vibrierende, aufgeblasene und eingebildete, geölte, gebremste, glatte, blitzende ihre Andeutungen machen und wieder zurücknehmen. Auf ihre kammerhaft, leibliche Nähe zueinander und zu uns, die Lauernden, auf all diese Spuren hätten wir zu achten, bevor wir wieder dazu übergehen, aus ihnen die üblichen, vereinzelten, ausgemachten, identifizierten Körper der Bedeutungen heraus zu selektieren, um mit Waffen auf sie zu zielen.Es ist der unterschiedene Augenblick einer Wachsamkeit der Zeichen, die zugleich ihren Fallencharakter oder ihren Fluchtweg mimetisch tarnen, welche Michael Schulze ausstellt, herausstellt und durch solches Gestelle auch immer schon zur Kunst entstellt.
Hans-Dieter Bahr

„Kammerjäger“ (“Exterminator“)
The title’s ‚exterminator‘ does not refer to the occupation group of the exterminators which get rid of unpleasant housemates and which you can reach under the phone number 030/6634065. Instead, it is a metaphor for someone who is hunting across the room, being interested in the different appearances of the things he ambushes.He does not exterminate, but he constructs an image of the fascination of a insect wing or of a bug’s chitinous exoskeleton. Furthermore, he is a collector who searches for subtile secrets beneath the stones and who treats these secrets like trophies.Michael Schulze 1985/86

„Kammerjäger“

 

We will never get to see them: these faint figures and shapes which Michael Schulze senses and traces in the unnoticed gaps between the pleasing and the disparaging, – if we think of “hunting“ as the rush and chase, the frantic craving and killing, even wiping out pests. This naked and bloody division and assignment of hunter and prey is preceded by a space of indecision, a space of lurking, sensing, harking, the infinitely finely branched vigilances; and in these vigilances, the essence of the animals should be seen, not in its “metabolism“ or “reproduction“; in these features, the symbols of living and killing mingle, a rapid buzz, a suddenly stopping rustle, an infinitely slow appearance; here, an antennae backs down, there an eye is revealed, a splatter is muted, a short chirping can be heard or the whiff of a wingbeat. For not a single moment, these sign forgot their lethal vulnerability.
And the “hunter“ is the sharply asking attention that does not try to hold back their traces any lesser.

The “exterminator“ – not any different from a valet – originally was the person that accompanied the ruler and who protectively constituted the narrow and close space around the ruler; not solid walls, but the soft clothes of the other people formed the ruler’s chamber.…

We will always be able to notice how Michael Schulze dares to tackle the ruling codes with precise allusions, finding the vulnerability of the hunter – maybe it is ourselves, because we see the insects as the worthless myriad that does not know any respect or economy and that fatally devours its own requirements for subsistence. Maybe it is us who belittle the bug towards his “innocent frugality“. Maybe it is us who dream rather of powerful wings of an eagle than of the fine wings of a lacewing that burns in nightly lights.
But Michael Schulze takes a mysterious and important step further, a jump ahead from which evokes a moment of mercilessness even in the minds of animal lovers: it is not only about to enlarge and familiarize the small and overseen and stomped, but it is about translations which will show us that the humans themselves assigned this weird status to ourselves: To be at the top of the animal history where we will be suppressed soon by technology and machines. Couldn’t there already be an instance that laughs about this position of being a tamer? Don’t the “elektrisches Insekt“, the “Flügelradtier“ or the “Schmetterling“ tell a completely different story?
… But not only it is this bulky, crawling, buzzing, stinging, insect-like of the machines or conversely the joints or the drive belts of animal bodies. There are sign that are addressed by Michael Schulze which dissolve still below the passages of animality and machineries, transmissions. Meta-meassages of moving characters in which cautious and rapid, stupid and anxiously vibrating, blown up and smug, oiled, braked, smooth, flashing make their allusions and disappear.
We have to pay attention to their physical closeness to each other and to us (the lurking). We have to pay attention to all these traces before we proceed to make them the usual, individual, identified bodies with their associated meaning, just to be able to aim with weapons at them.
It is the distinguished moment of attention towards the symbols that disguise their trap-like character or their exit path at the same time. These are illustrated by Michael Schulze, defacing it as art with the help of such frames.

Hans-Dieter Bahr

 

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